Der eingeschlagene Weg zur Ortskernentwicklung gibt vor, ein demokratischer zu sein. Er ist es nicht.
Er instrumentalisiert einen vermeintlichen Bürgerwillen.
Am 9. Juni 2016 wird im Kronshagener Rathaus bei einer „Bürgerbeteiligung im Rahmen der Vorstellung der Rahmenplanung und Erarbeitung des Integrierten Entwicklungskonzeptes“ für den Ortskern in Kronshagen der aus dem Siegerentwurf des städtebaulich-freiraumplanerischen Realisierungswettbewerbs (18.7.2015 – 3.12.2015) hervorgegangene Rahmenplan vorgestellt.
Zunächst mit Erstaunen, zunehmend auch mit Ärger und Sorge nehme ich die Vorschläge der Landschaftsarchitekten zur Kenntnis: keine einladende Raumsituation im Zentrum unserer Gemeinde, sondern es wird ein großes überdimensioniertes Wohn- und Geschäftsgebäude in die Mitte des Ortskerns gebaut, die alten, mittlerweile unter Denkmalschutz stehenden Gebäude werden verstellt, zwei verschattete Plätze soll es geben. Es erschreckt mich, dass diese Pläne, die anscheinend zeitnah einer Realisierung zugeführt werden sollen, so ganz anders, ja geradezu unvereinbar sind mit den Ideen, die ich aus der Werkstatt zur Ortskernplanung am 21. März 2009 erinnere.
Wie ist es dazu gekommen?
Zum 21. März 2009 lud die Gemeinde Kronshagen alle Kronshagener Bürger zu einem öffentlichen Workshop ein. Der Workshop wurde als „offene Planungswerkstatt in Anlehnung an die Open-Space-Methode durchgeführt. Diese Konferenzmethode garantiert eine weite Öffnung für Ideen, Teilnehmerbeiträge und Themen, ohne über Rahmenvorgaben zu lenken bzw. Ergebnisse vorweg zu nehmen.“ (aus: Gemeinde Kronshagen, Dokumentation, Ortskernplanung Kronshagen, 1. Workshop, 21. März 2009) Dies entspricht meiner Erinnerung. Es kamen wohl ca 80 Kronshagener Bürgerinnen und Bürger, die Stimmung war gekennzeichnet durch faire Gespräche und durch wertvolle Kontroversen. Alle Ideen – ausdrücklich auch die noch unausgereiften – waren erwünscht und fanden Eingang in die gemeinsame Diskussion.
Aber das war es dann auch.
Nachfolgende Termine waren für mich mit meinen beruflich bedingten Arbeitszeiten nicht mehr zu vereinbaren. Wie ich im Nachherein erfuhr, konkretisierten kleine Arbeitsgruppen die Ergebnisse. Wenige, nicht von dem großen Plenum der Planungswerkstatt autorisierte Bürger entschieden nun, was als wertvoll erachtet und was verworfen werden sollte. So schnell schon war der demokratisch angelegte Start beendet. Entscheidungsfindung und Abstimmung der Ergebnisse durch die ursprünglichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Planungswerkstatt wurden versäumt oder waren vielleicht gar nie intendiert. Statt die Teilnehmer der Planungswerkstatt als Multiplikatoren zu befähigen und nun die Tür zu öffnen für die Meinungsbildung ALLER Kronshagener Bürgerinnen und Bürger, wurde eine schnelle Verengung vorgenommen. IN or OUT – die gesamte Bürgerschaft wurde nicht mitgenommen in einen ursprünglich sinnvoll scheinenden, motivierenden Prozess.
Gab es im Kreise dieser Arbeitsgruppen niemanden, dem auffiel, dass sie oder er über wertvolle Ideen der übrigen Teilnehmer des Planungsworkshops und stellvertretend für alle Bürgerinnen und Bürger Kronshagens Entscheidungen traf? Hat niemand von ihnen daran gedacht, dass ihm oder ihr dafür die Befugnis fehlte?
Später waren vielleicht auch die kleinen Arbeitsgruppen nicht mehr gewünscht; sie waren für mich in der nachfolgenden Zeit jedenfalls nicht mehr wahrnehmbar. Es wurde zunehmend schwerer, valide Informationen zu erhalten. Zeit, mich intensiv der Nachforschung von Ungereimtheiten zu widmen, hatte ich nicht. Soll ich mir mein aus heutiger Sicht naives Vertrauen in politische Prozesse zum Vorwurf machen?
Für welche Entscheidungen legitimieren wir unsere Gemeindevertreter?
Die gewählten Mitglieder in der Gemeindevertretung hatten den Prozess übernommen. Drei der damals vier in der Kronshagener Gemeindevertreterversammlung sitzenden Parteien schlossen sich zu einer Hyperkoalition zusammen und entschieden sich für ein kooperatives Beteiligungs- und Planungsverfahren. Sie brachten fremde Interessen ins Spiel: das Innenministerium, das Forderungen bezüglich der Prozessbedingungen und der zu diskutierenden Inhalte stellte, sowie eine beratende Gesellschaft für Stadtentwicklung, die beriet, ohne die Interessen der Bürger, die sie beriet, zu erfragen. Wäre dann nicht die Entscheidung für ein Bauleitplanverfahren ehrlicher gewesen?
Der Prozess entgleiste.
Der nicht mit städtebaulichen Prozessen betrauten Kronshagenerin, die ich war, erklärte die Rede von mysteriösen, den Zeitablauf steuernden Strafzinsen nicht den Zeitdruck, den diese immer wieder auszulösen schienen. Um ein für unsere Gemeinde so bedeutsames Projekt in einem kooperativen Planungsverfahren durchzuführen braucht es vor allem Zeit für eine breit angelegte kontroverse Diskussion, für Meinungsbildungsprozesse und für Entscheidungen, die Modalitäten folgen, die für alle nachvollziehbar sind. Nur dann kann das Ergebnis von der Öffentlichkeit getragen werden, nur dann ist der Aufwand für ein kooperatives Beteiligungs- und Planungsverfahren sinnvoll.
Im Juli 2015 wurde ein städtebaulich-freiraumplanerischer Realisierungswettbewerb ausgelobt. Obwohl europaweit ausgeschrieben, lagen erstaunlicherweise schließlich nur sechs Arbeiten zur Wertung vor. Der Bürgerwille wurde hier durch wenige ausgewählte „sachkundige“ Bürgerinnen und Bürger vertreten. Wie die betreffenden Bürgerinnen und Bürger ihre Sachkunde nachzuweisen in der Lage waren, bleibt ein Geheimnis – demokratisch legitimiert waren sie jedenfalls nicht. Wozu jedoch hatte man sie in den Prozess aufgenommen? Als Statisten, um nun auch dieses Verfahren mit einer Bürgerbeteiligung zu schmücken?
Auch die Fremdbestimmung setzte sich im Wettbewerb fort, denn als Richterinnen und Richter im Preisgericht waren sechs (!) Architekten und Planer aus Hamburg, Lübeck, Flensburg, Oststeinbek und Kiel berufen. Ihnen saßen vier (!) Kronshagener Fraktionsmitglieder gegenüber sowie eine (!) „sachkundige“ parteilose Kronshagener Bürgerin. Die übrigen „sachkundigen“ Bürgerinnen und Bürger hatten keine Stimme. Selbst wenn also alle Kronshagener Preisrichter eine gemeinsame Sicht hätten durchbringen wollen, so wären sie, da in der Unterzahl, hierzu nicht in der Lage gewesen.
Die Einstimmigkeit der getroffenen Beschlüsse? Rätselhaft!
Am 3. Dezember 2015 wurde eine der Arbeiten mit dem ersten Preis prämiert; entscheidende Überarbeitungsempfehlungen wurden für die Entwicklung eines Rahmenplanes als Aufgabe gegeben:
- Prüfung der Verlegung der südlichen Tiefgaragen-Zufahrt zwischen Rathaus und Marktplatz
- Rücknahme der Bauflucht des neuen Wohn-/Geschäftshauses, um eine Blickbeziehung zum denkmalgeschützten Sparkassengebäude aufrechtzuerhalten
- Überarbeitung des Bebauungskonzeptes für das Grundstück Seilerei mit dem Ziel einer Geschosswohnungsbebauung
Bis zur Vorstellung des entwickelten Rahmenplanes am 9. Juni 2016 waren schließlich nur noch zwei der Aufgaben einzulösen, da das Bebauungskonzept für das Grundstück Seilerei – erstaunlich! – vorzeitig aus dem Sanierungsgebiet herausgenommen worden war. Für die Verlegung der südlichen Tiefgaragen-Zufahrt zwischen Rathaus und Marktplatz wurde eine vage Idee eingebracht, die wegen Ermangelung eines umfassenden Verkehrsplanes im Stadium einer Idee belassen werden musste. Die Rücknahme der Bauflucht des neuen Wohn-/Geschäftshauses mit dem Ziel, eine Blickbeziehung zum denkmalgeschützten Sparkassengebäude aufrechtzuerhalten, war bis zur Verabschiedung des Rahmenplanes durch die Gemeindevertretung Kronshagens am 10. Januar 2017 nicht soweit eingelöst, dass tatsächlich von einer „Blickbeziehung“ die Rede sein konnte.
Was soll jetzt werden?
Wir treffen erstaunte Gesichter, wenn wir nach der Veranstaltung mit dem Namen „BürgerBETEILIGUNG“ am 9. Juni 2016 an Mitbürger heran treten und sie zu ihrer Meinung befragen. Die meisten wissen nur wenig und können kaum glauben, was sie im Entwurf und bei der Ansicht des Modells der Landschaftsarchitekten sehen. Mit ihrer Unterschrift unter die Petition an den Bürgermeister und die Gemeindevertretung der Gemeinde Kronshagen im Juli 2016 bekunden innerhalb von knapp 2 Wochen fast 300 Kronshagener Bürgerinnen und Bürger ihr Interesse an umfassender Information und mehr Beteiligung an den Planungen für den Ortskern unserer Gemeinde.
Die Gemeindeverwaltung antwortet mit einem Informationsabend am 4.10.2016 im Bürgerhaus. Dort können wir erneut erleben, dass der Bürgerwille nicht zählt. Interessierte Bürger, die sich an diesem Abend zu Wort melden, werden in ihrem Redebeitrag unterbrochen; ein wirklicher Austausch mit den Betroffenen, scheint – entgegen anderslautenden Bekundungen – nicht in der Intention des Bürgermeisters und der politisch Verantwortlichen zu liegen. Beredt soll deutlich gemacht werden, dass die derzeit zur Verabschiedung stehenden Planungen auf der Grundlage der Bürgerbeteiligung entwickelt worden seien. Wenn das stimmte, wären wir mit Sicherheit besser informiert! Der ursprünglich auf Dialog angelegte Prozess ist umgewandelt zum Monolog eines bestellten und bezahlten Moderators und einzelner Politiker. Wessen Ideen und Pläne dort vorgestellt werden, bleibt verborgen.
Der Rahmenplan, nunmehr Bestandteil des Integrierten Entwicklungskonzepts, wird auf der Sitzung der Gemeindevertretung am 10. Januar 2017 beschlossen. Er hat unwesentliche Veränderungen erfahren; für die Überplanung des Ortskernes ist er weiterhin nicht geeignet. Vier der heute fünf in der Kronshagener Gemeindevertretung vertretenen Parteien unterstützen die Pläne und führen den Prozess mit eiserner Einigkeit weiter. Sie kümmern sich weder um Lebensqualität noch um ein für unsere Gemeinde tragfähiges Finanzierungskonzept.
Ist dies unser Wille?